Neuer Land Rover Defender ist ein historisches Ereignis / SUV-Design beendet Britishness / Es gibt ein Quantum Trost

Man stelle sich vor: Dreitausend Meilen weg vom Teegeschirr, umgeben von Eingeborenen, sonst allein irgendwo am Tanganjika-See, treten zwei britische Gentlemen, verschwitzt und erschöpft ohne Gin mit Tonic aufeinander zu, bereit zum Händedruck, und einer sagt nach beschwerter Anreise: „Dr. Livingstone, I presume?“ Dann lüften der eben eingetroffene Henry Morton Stanley und der kranke David Livingstone ihre Forscherhüte und schlurfen in den Schatten. Aller Wahrscheinlichkeit nach war bei dieser historischen Begegnung am 10. November 1871 kein Land Rover Defender zugegen. Doch es war seine Aura zugegen.

Achtzig Jahre und ein bisschen später, wäre das anders gewesen. Denn der Land Rover (Defender kam erst ab 1990 dazu) kroch oder kletterte oder rollte überall herum, wohin die Livingstones dieser Welt gerne reisten. Einer davon war Ende der 1960er Jahre mit einem Schulfreund unterwegs, der nur Joe gerufen wurde. Dessen besondere Kennzeichen waren, mit Elvis-Tolle, einen unglaublichen Schlag bei den Mädels und einen Land Rover zu haben. Joe war trotz Gymnasium immer im Aufbruch, zum Beispiel nach Andechs, und er führte das nötige Werkzeug für den verbeulten Land Rover mit. Den reparier ich mit meinem Metallbaukasten, sagte der Joe gerne und verschwand auf dem Lehrerparkplatz unter dem Vehikel. Das fuhr wie eine Ackermaschine und rasselte und knirschte und heulte wie tausend Teufel. Manchmal blieb es auch in einer Ölpfütze liegen, und Joe packte den Baukasten aus. Dann fuhr der Land Rover wieder. In der Folge begegnete ich selbst mehreren Exemplaren dieses Autos, das eigentlich ein mehr oder weniger zufällig auf Rädern gefügtes Gerät war. (Wie einst der Unimog in Deutschland.) Doch der Defender entwickelte sich zum Kult, er gilt als Mythos und jetzt ist er neu und frisch wie ein junger Tag, na ja, quasi auferstanden: Jaguar Land Rover (JLR) hat am 20. Juni mit seiner Präsentation in der Öffentlichkeit begonnen, und www.carsandcritics.de startet mit ihm eine kleine Serie von Autos, die gut fürs Herz und das automobile Leben sind. Wo doch jetzt die seelenlosen Stromer anrollen, die V8-Pakete ungeschnürt bleiben und der Spritverbrauch von Homöopathen bemessen wird.

Dass der neue, wirklich unglaublich neue Defender, einen anderen Zuschnitt haben musste, das war keinem verborgen. Klar musste der Defender neuzeitlich werden. Natürlich durften die Typen neuen L663 als 110er und 90er (Radstand) sich mehr nach Schwabing als nach Sahara orientieren und die neuen Motoren mit vier oder sechs Zylindern plus Turbo und 200/240/300/400 PS mussten athletischer sein, und dass erleichtertes Fahren mit der ZF-Achtgangbox sowie eine (mit Metallbaukasten unreparierbare) Luftfederung (!) kommt, dass die SUV-Woge sich in Design und Charakter mischen würde, daran zweifelte eh niemand. Selbst die ersten Preise schockten keinen. Mit vier Türen und der rechts seitlich angeschlagenen Hecktür (auch fürs rechtsfahrende Festland?) sind für die D200-Basis 55 600 Euro fällig, für den D240 sind etwa 60 000 Euro nötig. Fürs Erschrecken sorgen nicht die Preise, sondern die stilistische Nonchalance, mit der die Briten ihre Ikone behandeln. Verschwunden sind wohl nicht die Beherrschung aller Land Rover-Tugenden, aber weg ist das Funktions-Defender-Haftige, kultig wurde er durch Charakter. Jetzt ist der Defender auf Kult getrimmt, sichtbar unter SUV-Einfluss, der alte Typ geriet zur Legende, weil ihn seine Fahrer dazu machten. Jetzt soll der neue Defender seinen Fahrern zum Legendenstatus verhelfen. Mit dicken Planken und fettem Plastik, mit dem bösen Blick der Scheinwerfer, mit einer seitlichen, lächerlichen Leiter am Dach aus Kunststoff, mit wenigen Defender-Zitaten und einer dekorativ-opulenten Kargheit im Innenraum. Früher war der Defender mit seiner Aura der Unkaputtbarkeit eine Art von Hilfsgerät beim Scheren von Schafen des unsterblichen Highlanders oder beim Transport von Single Malt hinter den Linien, heute wirkt er wie aus einer heldenhaften Comic-Zeichnung entkommen. So stellen sich schulpflichtige Star-Wars-Kämpfer ihre Eingreiffahrzeuge vor. Im Gesamteindruck hat der Defender seine einstige, skurrile britishness-Erscheinung gegen den eher cowboyhaften-Poser eingetauscht, ist mehr Dandy als Land Lord. Mal sehen, wer sich durchsetzt.

Doch, es gibt Hoffnung: Der beste Blick auf den neuen Defender bietet die Silhouette. Da dominiert die alte, rundlich-markante Schulter mit ihrer Lichtlinie, das überlegen-weißlackierte Dach spendet ein Quantum Trost und das am Heck aufgesetzte Reserverad setzt den Schlusspunkt. „Auto, Motor und Sport“ schrieb nach der ersten Testfahrt mit dem 110er-Diesel: Der neue Land Rover Defender überzeuge mit seinen Komforteigenschaften. Wir glauben, er müsse eine neue Kundschaft suchen. (wp./Foto Jaguar Land Rover)