Nell dubbio – accelerato oder Racing with friends! / Beim Hillclimb Pferdsfeld geht es um die Harmonie von Mensch und Maschine / Und um Freude am alten Auto / Foto Claus Witzeck

 

Selbst wer die schöne Stadt Bad Kreuznach in seinem inneren Navigationssystem noch verorten kann, dem werden die dunklen Wälder des Hunsrücks wie eine terra incognita erscheinen. Nur wenige Kilometer weiter westwärts, dort, wo die düsteren Bäume am  dichtesten stehen, hielt sich einst der Schurke Johannes Bückler mit seinen 94 Spießgesellen versteckt. Wer will, kann sich noch heute, über zwei Jahrhunderte später, in der Höhle des Schinderhannes eine schöne Gänsehaut abholen –  doch wir wählen hier einen anderen Pfad, betreten eine Lichtung, vorbei an einem riesigen Solarpark, und stehen vor der gut gesicherte Einfahrt zum „Triwo Testcenter“: Und hinter dem Zaun hören wir sie schon, wie sie röhren, broddeln und kreischen. Da sind sie, die Freunde von „Pista e  Piloti“, die sich auf ihr erstes Frühjahrsmeeting einstimmen.

120 historische, auch legendäre Renn- und Sportwagen traten an diesem eisigen Samstag in unterschiedlichen Klassen nach dem Vorbild traditionsreicher, englischer Bergrennen zum ersten „Hillclimb Pferdsfeld“ an. Es ging dabei um alles und um nichts – aber zumindest um den Berg, und um eine Sollzeit gegen die Uhr. Von wertvollen Vorkriegsklassikern über sportliche Serienfahrzeuge bis hin zu reinrassigen Rennwagen – alle waren sie da, mit und ohne Strassenzulassung, bis Baujahr 2005. „Pista e Piloti“, das war bislang der „Gran Premio Alfa Romeo“, der auch 2022 wieder stattfinden wird und zu dem Ende August 200 überwiegend italienische Racer für einen Rundstrecken-Event erwartet werden. Beim „Hillclimb Pferdsfeld“  handelt es sich also um ein  neues „Pista e Piloti“- Veranstaltungsformat, ein spin off  für Klassiker-Piloten, die sich auch im Einzelfahren gegen die Uhr im Stil alter Bergrennen messen wollen.

Marco Wimmer, Gründer der Darmstädter Event-Agentur Appia Development, hat schon vor Jahren als damaliger Geschäftsführer der Klassikstadt Frankfurt rund um die aus 1910 stammende Maschinenfabrik im Ostend die Blaupause für diesen Rennspaß geliefert. Sein Konzept – unkompliziertes Racing ohne Lizenzen und unter Verzicht auf gewaltige Reglements, doch mit dem Feeling der guten, alten Zeit, in bester Gesellschaft und mit der Atmosphäre früherer Rennen  – war vom Start weg so beliebt, dass die Veranstaltung drohte, an ihrem eigenen Erfolg zu ersticken. Mehr Platz und weniger Auflagen als das monumentale, innerstädtische Backstein-Areal boten dann 2018 und 2019 die  beiden folgenden Veranstaltungen auf dem kleinen Flugplatz von Michelstadt im Odenwald.

Seit 2020 hat „Pista e Piloti“ nun aber im Hunsrück, auf dem prosperierenden Gelände von Triwo Automotive Testing aus Trier, eine neue Heimat gefunden. Unter der Woche wird das 320 Hektar große Testgelände von der Automobilindustrie genutzt. Aber wenn die alten Renner kommen, dann verwandelt sich der Industriepark Pferdsfeld in eine wunderbar in die Natur eingebettete Berg- und Talbahn mit den Merkmalen einer professionellen Rennstrecke. Dabei handelt es sich hier um einen ehemaligen NATO-Airport, wo schon in den 50er und 60er Jahren internationale Flugplatz-Rennen stattgefunden haben. Heute bietet die  Infrastruktur von Triwo eine drei Kilometer lange, dreispurige und bis zu 90 Meter breite Autobahnsimulation mit Steilkurve für hohe Endgeschwindigkeiten. Dazu können die verschiedensten Handlingkurse genutzt werden.

Wie für die professionellen Testfahrer bestand auch für die tollkühnen Helden am Volant ihrer mehrheitlich italienischen Boliden Helmpflicht –  viele starten sogar in zeitgenössisch passender Rennmontur. Dabei kümmerte es niemand, dass die Veranstaltung keine Zuschauer oder Besucher jenseits des Teilnehmerkreises vorsah und erlaubte – man war unter sich und sich selbst genug. Die Einschreibegebühr von knapp 250 €  beinhaltete das Startgeld für die Strecke, eine professionelle Streckensicherung, Abschlepp- und Rettungswagen sowie den Zugang zum Fahrerhangar mit Catering aus Foodtrucks. Nicht wenig für ein Samstagsvergnügen mit gerade einmal einem Trainungslauf, einem Lauf zum Setzen der Sollzeit sowie anschließend zwei Wertungsläufen. Gestartet wurde unten im „Tal“ an einem alten Flugzeughangar, der als Basislager der Veranstaltung diente. Dann führte der Kurs über 15 Kurven mit unterschiedlichsten Radien über 2,5  Kilometer kontinuierlich bergauf. Die jeweilige Sollzeit wurde von den Teilnehmern nach dem Training selbst gesetzt und musste für eine gute Wertung in den folgenden Wertungsläufen möglichst genau wieder getroffen werden. Es ging also nicht um Topspeed,  sondern um den präzisen Gleichklang der Einheit Mensch und Maschine.

Und alle hatten dabei ihren Spaß: Eine Rotte wilder Alfasud, heiße Renn-Polos der ersten Serie (einer aufgerüstet mit einem hochdrehenden Hayabusa-Motorrad-Aggregat) der legendäre Mercedes SSK, aber auch volkstümlich scharf gemachte 190er, Opel Ascona und Manta, Mini Cooper, alle nur denkbaren Porsche, Exoten wie Marcos oder Ford GT40, schöne MG aus der Vor- und Nachkriegszeit, Alpine, BMW und sogar Simon Templar im Volvo P 1800. Auch das Brose-Team von Michael Stoschek aus Coburg fuhr mit einem überperfekten Lancia Stratos vor, flankiert von mehreren A112, Fulvia HF und Delta integrale. Alles brüllte, sägte und  kreischte nach Kräften und nach dem Motto:  Nell dubbio – accelerato!  Viele der Gefährte, die hier an die Start gerollt wurden, würden in keine offizielle Motorsport-Klassifizierung passen – hier durften sie ihre Muskeln spielen lassen.

Das Fahrerlebnis auf der Strecke mit doppelten Leitplanken, Curbs, Auslaufzonen und Streckenposten wie auch die Benzingespräche vor und nach den Läufen hinterließen glückliche Gesichter und Heldengeschichten aus vierrädrigen Träumen.  Ganz nebenbei wurde in Pferdsfeld aber auch der Nachhaltigkeit zeitgemäß Rechnung getragen. Gemeinsam mit Fiat wurde ein Kräftemessen gestartet, das sich als Brücke vom sportlichen Verbrenner zur emissionsfreien E-Mobilität verstand: Nicht wenige der interessierten Beobachter unterschätzen dabei die Dynamik des lautlosen Fiat 500 E im direkten Vergleich zu seinem konstruktiven Pendant, dem wild knurrenden Abarth 595. Richtig „Gas geben“ kann man also auch mit Deutschlands derzeit meistverkauften E-Mobil…

Wie geht es weiter bei „Pista e Piloti“ ?  Der „Gran Premio Alfa Romeo“  ist inzwischen die grösste dynamische Veranstaltung für italienische Renn- und Sportwagen im deutschsprachigen Raum und steht am 27./ 28. August 2022 im Renn-Kalender. In der Tradition der alten Flugplatzrennen werden 200 klassische Sport- und Rennwagen auf eine spektakuläre, dann rund vier Kilometer lange Strecke auf dem ehemaligen Flugplatz Pferdsfeld gehen. Alleine die legendäre Mailänder Marke stellt hier deutlich über 100 Teilnehmer. Dann heißt es wieder: Racing wie in den 60ern… (cw./Foto cw)