Sehr seltener Lamborghini zum exorbitanten Preis: Vor 70 Jahren beackerte Nanni Lanova nicht nur die Emilia Romagna (Foto cw.)

 

Neustart in die Vergangenheit / Traktor-Lambo mit Patina für eine Million / Viele Offerten von privaten Anbietern / Oldtimer mit Hoffnung auf die Zukunft

Fast hätte man glauben können, alles sei wieder wie früher beim Alten, auf der diesjährigen Retro Classic in den Stuttgarter Messehallen. Beim Anblick seiner wegen Corona pausierenden, nun abermals  eröffneten Oldtimer-Oase wird der Mensch zum Herdentier. Wie Verdurstende nach einer wüsten Zeit stürmte das Publikum (schon älter, weiß, männlich) bereits am Eröffnungstag durch die Eingangskontrollen, die weder auf Corona-Tests noch auf Masken achteten, sondern nur die teuren Eintrittskarten kontrollierten. Nachdem die großen  Shows der klassischen Automobile, Zweiräder und der Lebensart eine gefühlte Ewigkeit geschlossen bleiben mussten, war dies, als ob sich kurz nach Ostern nun auch die Tore zum Oldtimer-Himmel wieder geöffnet hätten.

Sicher ist, dass der überaus rührige Veranstalter Zufriedenheit mit dem Verlauf vermelden kann – für sich, die Aussteller und auch für die glücklichen Besucher. In Quantität wie Qualität hat es sich endlich wieder gelohnt, dieses schöne Hobby- und Business-Modell mit dem Namen Heritage. Die VK- und VB-Preise der Exponate waren wieder hoffnungsvoll hoch angesetzt. Im Premium-Bereich lässt sich mit Raritäten sicher weiter sehr viel Geld verdienen – dank (noch) Niedrigzins und trotz  Putins mörderisch-zerstörerischem Angriffskrieg, auch auf den Märkten.

Dennoch hat sich die Szene verändert: Natürlich zeigten die Platzhirsche Mercedes (Daimler? Benz?) und Porsche am Stuttgarter Flughafen ihre Stärke auch in der Historienpflege. Sonst aber war die Lage bei Herstellern und Importeuren eher lau, die Clubs und Individualisten mussten allein die Fahnen hochhalten. Und – so war zu hören – dies jetzt auch ohne die früher üblichen Geldspritzen ihrer Marken. Die Zeit spült auch in den Unternehmen jene Entscheider, ob Frau oder Mann, an die Spitze, für die in Sachen Markenpflege ein Influenzer wichtiger erscheint als eine geschichtsreiche Vergangenheit. Daher ging auch die Suche nach dem einen oder anderen Retro-Stammgast diesmal ins Leere. Die Folge: Nur ein Teil der mächtigen Messehallen war diesmal mit automobilem Angebot gefüllt – man teilte sich das Gelände großzügig mit weiteren, kleineren Messen ganz anderer Couleur, deren Besucher eher irritiert auf das Treiben ums alte Blech blickten.

Nicht weiter schlimm, wenn ansonsten die Qualität stimmt. Und die war wirklich in Ordnung: besonders das überaus breite Angebot der privaten Verkäufer war begeisternd. Natürlich gab es wie immer ein kräftiges  Überangebot an üblichen Verdächtigen wie Porsche 911 und Mercedes-Benz aller Baujahre und Klassen. Aber man konnte auch ganz Ausgefallenes und extrem Seltenes finden. Exemplarisch genannt seien nur ein rares Fiat 600 Vignale Coupé von 1964 für zarte 15 900 Euro. Oder ein Fiat Jungla 600, eine Art von nie zuvor gesehenem italienischen Mini Moke.

Überhaupt, die Italiener. Kracher der Messe, talk of the town (zumindest für den Autor) war ein ganz anderes Fahrzeug: ein kleiner, unrestaurierter Landwirtschaftshelfer namens Lamborghini DL15. Auf dem Stand von „Klima-Lounge“, einem Anbieter hochwertiger Garagen- und Stellplatz-Systeme aus Eberhardszell, stand dieser kleine Traktor mit klangvollem Namen. Schwer patiniert, aber mit einer außergewöhnlichen Aura. Angetrieben nicht etwa von einem filigranen Zwölfzylinder, sondern von dem 15 PS starken Zweizylinder-Boxer „Nanni Lanova“, der mittels Handkurbel angeworfen sein wollte, rollte dieser kleine Lambo ab 1952 in nur 12 Exemplaren über die Äcker der Emilia. 70 Jahre später liegt der heutige Aufrufpreis bei 1 050 000 Euro (in Worten: eine Million und 50 Tausend Euro). Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich…

So war vieles wie immer, aber manches ganz anders auf der Retro 2022. Schön und begeisternd war es auf jeden Fall. Und die Aufgabe dieser Events ist es ja auch, uns die Hoffnung zu geben, dass alles wieder gut wird. Trotz all der Viren und all der Verrückten und Kriegtreibenden dieser Welt. (Text und Foto cw.)