In Wolfis Garage warten manche Schätze. Es sind eher Schätzchen. In Ehren gealterte Automobile, deren monetärer Wert nicht der Rede wert ist. Sie sind viel zu wertvoll, als dass Wolfi sie verkaufen täte. Wobei einige davon nur noch in seiner Erinnerung existieren. Aber hier geht es um den überaus fahrtüchtigen und mit vorsichtiger Akribie gepflegten Volvo 245 Kombi.

 

Im 29 Jahre alten Volvo 245 ist Funktion die Basis für Schönheit

Unser großer Begleiter ist noch gut in Schuss und bewältigt seit dem 15. März 1991 die Alltagsmobilität einer fünfköpfigen Familie. Davon läuft ein Mitglied auf vier Pfoten, haart mitunter und liegt gerne mit mildem Sabbern im Laderaum. Bosco ist ein tapferer Mischlingshund aus Labrador, Breard und australischem Shepherd. Das merkt man ihm nicht an, er sieht halt aus wie ein großer Hund, der mit einem Schwanzwedeln einen mittelgroßen Kaffeetisch abräumen kann. Unsere Freundin Dorothée hat ihn kurz vor ihrem Umzug in die Wüste von Arizona als Geschenk übergeben. Da war er noch ein Welpe, vor etlichen Jahren. In der Hundeschule lernte er Manieren und Petra, die Mutter der Familien-Kompanie, brachte ihm das Leben mit dem Volvo bei: Bereits beim ersten, leisen Klack der Zentralverriegelung wacht Bosco aufmerksam vor der Heckklappe. Sie ist kaum offen, da wirft er sich mit einem einzigen Satz und einem Zufriedenheits-Seufzer auf seine Decke und ist startbereit. Allerdings ist Bosco nicht mehr dabei, he passed away, an einem 19. Januar vor zwei Jahren. Nicht nur der Volvo vermisst ihn. Aber es gibt alsbald einen Nachfolger, der einfach wieder Bosco heißt, denn es gibt keine Zweifel: der erste Bosco „was a dog of gold“.

Zwar firmiert dieser Volvo als ein Teil der Baureihe 240, die Schweden hatten schon damals eine strenge Modell-Ordnung, was einfach war, weil es nicht wirklich viele Baureihen gab. Aber die Baureihe 200 startete 1974, und war im Prinzip eine Fortschreibung der noch strengeren 100-Linie. Bis zum Ende der 200-Baureihe hatte Volvo nichts besseres zu tun, als über zwei Millionen Exemplare davon zu bauen. Die meisten davon fahren in amerikanischen Intelligenz-Filmen herum, bei Woody Allen zum Beispiel kommt kein High-School-Prof ohne einen 245 aus, alternativ muss Saab gefahren werden, die meisten Volvos sind gefühlt noch in Deutschland unterwegs, und natürlich in Schweden. Für die Vier in der Modellbezeichnung wurde eine Ableitung vom Vierzylinder gewählt und die Fünf kam vom Kombi, der vier Türen hatte, plus die Hecktür, die ist freilich eine Klappe und damit sind wir bei unserem Volvo 245.

Wer zum erstenmal an dem handlichen Griff die ultrabreite Klappe mit dem schmucklosen Heck-Schaufenster nach oben bewegt, erliegt einem Irrtum: Der Lade- und Kofferraum ist in seiner truhenähnliche Tiefe nicht länger als das Auto. Der Eindruck, in eine sehr aufgeräumte Lagerhalle zu blicken, entsteht nicht ohne Grund: Der Volvo ist in seiner Machart von genialer Einfachheit. Er folgt im Inneren den Prinzipien des rechten Winkels, sein Hohlraum wird durch nichts gestört, es ist das Innere einer großen Kiste. Da ist es nur natürlich, dass die Familie dauernd auf Einkaufs-, Ferien- oder Umzugsfahrten unterwegs ist. Gut zwei Meter ist die flache Ladeebene des knapp 4,80 langen Volvo tief, wenn die Rückbank umgeklappt ist. Das Tor im Heck ist so breit wie die Ladefläche und etliche Dutzend Einliter-Fläschchen des gruseligen Chateau Schlafitte oder kistenweise schäumende Erzeugnisse vom Kloster Andechs ließen sich leichter Hand unterbringen.

Für das schnörkelfreie Design zeichnet ein Schwede verantwortlich. Jan Wilsgaard war über Jahrzehnte prägend für den Auftritt von Volvo, jederzeit recht konsequent im Entwerfen, sein Stilempfinden war nicht von der Suche nach Üppigkeit oder Anbiederung geprägt. Man könnte sagen, er behandelte und formte das Auto einfach so, wie er es für richtig hielt. So formte sich das Bild von Volvo und hat erst seit etwa zehn, fünfzehn Jahren begonnen, sich mit moderneren Eigenschaften zu erweitern. Aber was kann moderner sein als das ewige Leben? Ein dynamischer Auftritt war einst nicht das oberste Gebot. An obersten Positionen rangierten Sicherheit und Solidität. Lebensdauer und Haltbarkeit waren gefragter als Leistung und Höchstgeschwindigkeit. Das schätzten, besonders im amerikanischen Markt, viele Käufer. Volvo dachte natürlich schon damals an seine Kunden, aber ihr Geschmacksempfinden interessierte nur am Rand. Wilsgaard war der oberste Design-Volvo, er liebte das Einfache, weil er die schlichte Schönheit als solche verehrte, und er sagte kurze Sätze, die klangen wie programmatische Vorgaben für preiswerte Winterkleidung : „Das Funktionellste ist oft auch das Schönste.“ Wer mit diesem Volvo lebt, der liebt das Einfache als Basis für das Schöne. Knäckebrot, nur mit älterem Elchfett, schmeckt am besten. Männer wirken in dem Kombi wie einsame Arktisforscher, Frauen sind in einem Volvo 245 meist schlicht, aber nicht billig  gekleidet. Während moderne Autos mit Überflüssigem prunken und den umbauten Raum mit fetten Leder-Sesseln und voluminösen Verkleidungen aus Plastik vergeuden, da konzentriert sich unser Volvo auf kompaktes Gestühl mit weich-dünner Polsterung und einem PfefferundSalz-Stoffbezug, der für die Ewigkeit gemacht scheint.

Natürlich fährt unser nicht ganz rostfreier Typ 245 (Abschlussblech unter der Heckklappe!)  noch sehr ordentlich. Aber er verleugnet nicht sein Alter, federt etwas bockig, ächzt gerne aus den Tiefen seines Körpers, aus dem schrankähnlichen Armaturenträger knarzt und knistert die nordische Kälte auch im Sommer, die Heizung ist ein Kaminofen, und er fährt am liebsten geradeaus, immer nach Norden, aber mit einem winzigen Wendekreis (Durchmesser 8,8 Meter). Sein 2,3-Liter-Vierzylinder hat jetzt gut 312 tkm auf dem Buckel, er kommt auf 116 PS, es ist die Kat-Ausführung mit der Bosch K-Jetronic, die funktioniert wie am ersten Tag. Ohne Vertun klicken die fünf Vorwärtsgänge ein und mit seinen Stollenwinterreifen hat er auf Schnee fast einen serienmäßigen Allradantrieb. Je nach Fahrweise werden dem Verbrenner 8 bis 13 Liter je 100 km zugeteilt, die Mutter fährt mit Tacho 180 halt häufig pedal to the metal, wie einst mit ihrem (roten) Alfa 75 Turbo. Aber das ist eine andere Geschichte. (wp./Foto Peters)