Kribbeln zwischen den Ohren

Mit Pedal-to-the-metal im Audi E-Tron 55 Quattro /Foto Audi

Die Entdeckung der elektrischen Lautlosigkeit im E-Tron beginnt mit einem dumpfen Schlag. Neben dem Fahrer fällt die Tür ins Schloss. Von der Umwelt ist nichts mehr zu hören. Denn Audi hat sein erstes Serien-E-Mobil konsequent gedämmt. Das gilt auch für das Wegsperren der Außenwelt, lästige Motorengeräusche altertümlicher Verbrennungsmotoren sind im E-Tron 55 Quattro nicht erwünscht. Das Innenleben im stärksten deutschen Stromauto ist eine ruhige Sache. Nicht einmal die Zeituhr tickt hörbar.

Und das Auto gibt sich Mühe, seinen Fahrer nicht mit einer Überdosis Zukunft zu erschrecken. Autofahren kann auch elektrisch – beinahe – so bleiben, wie es ist. Auch im gerade anbrechenden Zeitalter der Elektro-Mobilität. Also reinsetzen, zwei Pedale für zwei Füße, ein ziemlich rundes Lenkrad, ein kompakter Stellhebel für das Fahren, handnah auf der Mittelkonsole und etliche Kontroll- und Hinweisleuchten. Aber kein Grund zur Irritation. Alles fasst sich an wie in einem Hunderttausend-Euro-Audi, und das ist auch sein Preis. Gut achtzigtausend sind ohne Extras fällig, zwanzigtausend gehen für Sonderposten drauf. Ein bisschen Leder darf schon sein. Fast wie ein großer Audi Q7 wirkt der E-Tron, ein sehr erwachsenes SUV, nicht ohne Grund hat sich Audi für diese gewohnte Form entschieden. Die Revolution findet beim Fahren statt.

Jetzt wird alles auf Start gestellt. Fahrer und Auto bündeln ihre Kräfte. Wobei die Anstrengung des Fahrers zur Nebensache wird. Prall geladen sind die Akkus im Wagenboden. 360 PS bringen insgesamt je ein E-Motor vorne und hinten an die Räder. Und zwar ansatzlos. Kein Grummeln und Hochdrehen vorher. Kein Probieren für den Griff der Kupplung. E-Motoren sind immer unter Strom. Allradantrieb im Quattro-Format, hecklastig ausgelegt, also mehr Kraft auf die Hinterachse verlagert. Das soll der Beweglichkeit und der Kurvenwilligkeit das E-Tron dienlich sein. Was nicht zu vergessen ist: 4,90 Meter ist der E-Tron lang und er wiegt (mit gewichtslosem Strom voll geladen!) fast 2600 Kilogramm (!). Keine guten Voraussetzungen für einen Audi, der keine Zugmaschine, sondern ein sportlich zu bewegender Groß-Kombi oder ein agiles SUV sein will. Dank E-Technik immer ohne Abgase und ohne schädliche Emissionen.

Das gilt auch für den jetzt startenden scharfen Antritt: Es wird ein Sprint von Null bis in den Beginn der Zukunft. Pedal to the metal presst das einstige Gaspedal in den Bodenteppich der Spritzwand. Fest hält die sehnige Hand des Fahrers das lederne Volant. Er verspreizt sich ein wenig. Für einen Sekundenbruchteil prüfen tausende von Sensoren, Schaltkreisen und Rechnerfunktionen diese Forderung nach voller Last. Ihre Arbeit ist unhörbar, aber der Fahrer spürt sie, fühlt ein Kribbeln zwischen den Ohren. Es liegt eine Spannung in der Luft. Dann wirft das Startprogramm die Boost-Funktion in die Arena. Im E-Tron duftet es nach Leistung. Alle Stiere brüllen los. Und die Teufel der E-Mobilität packen sie an den Hörnern. Niemand kann sie hören. Im Ohr des Fahrers klingt ein leises Sirren. Ein geheimnisvolles Wispern wie von tausend Hexen auf ihren Zauberbesen liegt in der Luft. Ein Orkan rottet sich zusammen. Irgendwo knirscht ein Kiesel unter dem 255/55 R19-Rad. Dann geht es fast lautlos voran. Der Zukunft entgegen? Hundert km/h sind schneller als das Morgen erreicht.

5,7 transpirationsfreie-low-carb-Sekunden nach dem Start wuchtet sich der 2,6-Tonnen-E-Tron über diese imaginäre Hürde. 200 km/h sind möglich. Aber nicht dauerhaft erwünscht. Alles ereignet sich nur mit der technisch nötigen Menge an Schlupf. Und mit dem feinen Flüstern der Schaltkreise. Diese beglückwünschen sich zu ihrer Pflichterfüllung. An der Reichweite des E-Tron rechnet der Fahrer herum. Ohne diesen Boost-Start wären es mehr, sagt er und schielt zur Ladestation rüber, wo für die nächsten drei Stunden ein anderes E-Mobil hängt. Genug Zeit für ein weiteres Kapitel in „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny. (wp)