Das Stern-Imperium schlägt zurück: Mit bisher nicht mobilisiertem Aufwand betritt Mercedes-Benz den elektrischen Ring. Beim Blick auf die S-Klasse unter den Elektro-Kaleschen  kann man den Eindruck von der schwäbischen Gefühlslage bekommen: Wir zeigen Tesla und Co., wo der Schalter wirklich umgelegt wird!

Auf der wichtigsten asiatischen Vehikel-Veranstaltung (Auto Shanghai vom 19. bis zum 29. April) feiert die Stern-Marke zwei Premieren aus der Zukunft: Nach einer ersten, eher intimen Vorstellung des EQS fährt die elektrische S-Klasse zusammen mit dem Siebensitzer-SUV EQB (kommt vor Deutschland in China auf den Markt) auf die Bühne. Zwar ist der EQS ein „enger Verwandter“ der konventionellen S-Klasse, doch dieser stehe „auf einer reinen Elektroarchitektur“, heißt es bei Mercedes. Mit den neuen EQS und EQB bietet Mercedes vier Pkw und einen Van mit elektrischem Vortrieb. Vorerst startet die EQS-Baureihe mit zwei Versionen, ab August sollen sie in Deutschland zu haben sein, der chinesische Markt kommt etwas später dran, Preise sind (Vermutung: ab 80 000 Euro aufwärts) noch nicht bekannt, man kann davon ausgehen, dass Mercedes keine Subventionierung des E-Antriebs plant.

Noch liegen bei weitem nicht alle Fakten für die große Elektro-Limousine (Länge mit etwa 5,20 über fünf Meter, Breite knapp zwei Meter, gut 3,20 Meter Abstand zwischen den Achsen, Leergewicht satte 2500 Kilogramm) auf dem Tisch. Aber die deutsche Traditionsmarke geht offenbar davon aus, dass sich die Zukunft der Elektro-Mobilität in einer ersten Phase dort entscheidet, wo sie selbst nach ihrem Selbstverständnis die Führungsposition besetzt. Diese sollen zunächst zwei Versionen einnehmen: Im EQS 450+ gibt es 245 kW Leistung auf der Hinterachse und im EQS 580 4Matic kümmern sich 385 kW über Allradantrieb um die Fahrleistungen. Mit einem nach WLTP gemessenen Stromverbrauch von 20,4 bis 15,7 kWh/100 km beim Typ 450+ und von 21,8 bis 17,4 kWh/100 km für den EQS mit 4Matic. Bei den aktuellen Powerdaten soll es nicht bleiben, auch AMG verfällt dem Lockruf des Stroms: Eine „Performance-Version“ mit 560 kW ist in Planung, wissen die Techniker.

Eine richtige Sensation ist von der Windschnittigkeit zu vermelden: Aerodynamiker und Designer haben einen Luftwiderstandsbeiwert von cw-0,20 erreicht. Ein unerhörter Rekord für Serienautos. (Ungewöhnlich für den Auftritt in der Luxusklasse ist das Schrägheck. Es trägt eine feine Abrisskante und ist ein Kind ausdauernder Arbeit im Windkanal: Kein E-Rücken ist schneller/ Fotos Mercedes-Benz) Offiziöse Angaben zu den Fahrleistungen liegen nicht vor, aber wer derart widerstandsarm dahin gleitet, ist – wenn die Batterie- und E-Motortechnik mitspielte – rechnerisch für über 300 km/h geeignet, empfehlenswert sind 120 bis 140 km/h, maximal könnten kurzzeitig um 200 km/h erlaubt sein.  Aus dem Stand werden 100 km/h in 6 oder 4 Sekunden erreicht. Ganz ohne Getöse, wie zuverlässige Informanten berichten. Vorerst sind typische E-Erwartungen gefragt: Bis zu 770 km Reichweite sollen nach der WLTP-Messmethode im EQS schlummern, dafür sorgen eine neue Batteriegeneration (zwei Batterien werden verbaut, die größere mit üppigen 107,8 kWh Energieinhalt) und ein aufwendiges Rekuperations-Management. Optimistisch wird das schnelle Laden betrachtet: Mit Gleichstrom soll innerhalb von schlanken 15 Minuten frischer Strom für 300 km Reichweite in den EQS wandern. Man wird die ersten Praxiswerte abwarten müssen.

In der High-Tech- und Luxus-Oberklasse soll der EQS nicht nur gegenüber Tesla zeigen, wie weit sich die einst als konservativ definierte Stern-Marke (ohne ihr aufrechtes Symbol auf der Haube) in die Abhängigkeit von elektronischen Systemen wagt. Es scheint, als sollte die E-Power der Startschuss sein für viele, noch weiter reichende Veränderungen im Auto. Mehr als sonst irgendwo übernehmen Algorithmen wichtige Aufgaben, auch zur Näherung an automatisches Fahren, bis zu 350 Sensoren kümmern sich um Daten zur Entscheidungsfindung, die nicht immer nur vom Fahrer betrieben wird. Als „ausgesprochen intelligentes Fahrzeug“ wird der EQS beschrieben, insgesamt gehen seine Fähigkeiten selbst über bisher als anspruchsvoll definierte Assistenz- und Internetfähigkeiten hinaus. Beispielsweise wird „interaktiver Fahrsound“ mit verschiedenen „Klangwelten“ aufgeboten. Zum Leben und Fahren zählen künftig „Over-the-Air-Updates“ und das „Freischalten der Hinterachslenkung“ läuft über die Internet-Verbindung.

Auffälligste Botschaften aus der Zukunft bringen das Exterieur-Design und die Gestaltung des Innenraums. Zwar werden Passagiere noch sitzen und nicht schweben, aber das gesamte Armaturen-Board ist eine von Rechnern animierte Landschaft unter Glas. Sie erlaubt Einblicke, die aus Raumschiff-Welten stammen könnten und eher dem Spieltrieb frommen, als die Sicherheit fördern. Erste Bilder zeigen einen zweifarbigen, fischähnlichen Körper fast ohne Kanten sowie eine kurze Haube und ein stummeliges Heck am Ende einer wunderschön auslaufenden Dachlinie, aber: Wie ein Riesenposten auf dem Prestige-Konto wirkt das noch nicht, eine S-Klasse ist keine Schleichkatze ohne Krallen und mit eingezogenem Schwanz. Aber vielleicht ist der komplette EQS die aggressionsfreie Botschaft aus einer Zukunft des Straßenverkehrs, die aus dem Universum kommt, und nur noch die Liebe kennt. Soll uns recht sein. (wp.)